Gerüfte
(mhd. geruofe, geruofede, geruofte, gerüefte: das Rufen, Geschrei, das Zusammenrufen der Nachbarn zur Hilfe)

lautes Notgeschrei, Klage gegen den toten Mann; möglichst lautes Geschrei zum Herbeirufen von Nachbarn und zufällig in der Nähe anwesenden Personen zur Hilfeleistung, zur Verfolgung und Festnahme eines Täters auf frischerTat (handhaft) z.B. bei Diebstahl, Vergewaltigung. Der Täter durfte, wenn er sich zur Wehr setzte, niedergeschlagen und gefesselt werden. Zur Ergreifung des Täters waren alle verpflichtet, die das Gerüfte gehört hatten außer Frauen, Geistliche und Gebrechliche, die als wehrlos galten; ebenso waren Hirten freigestellt, damit die Aufsicht über die Herde gesichert war. Eine Hilfeunterlassung wurde mit schwerer Strafe geahndet. Die Gerüfte erfolgte außerdem bei drohender Kriegsgefahr und Gefährdung durch Katastrophen. Je nach Anlass rief man:
viantio/feindio: Feind
viurio/feurio: Feuer
diepio: Dieb
mordio: Mord, wehe!
hilfio: Hilfe, Beistand
zeter: Hilfe- und Klageruf
(vgl. nhd. zeter und mordio schreien)
Das Gerüfte befreite den Rufenden vom Verdacht der Verheimlichung. So rief einer, der einen in Notwehr erschlagen hatte, schon deswegen um Hilfe, damit er nicht in Mordverdacht geriet. Eine Vergewaltigte, die nicht das Gerüfte erhoben hatte, galt als unglaubwürdig.
Wurde ein Täter auf der Flucht verletzt oder getötet, so blieb sein Verfolger straffrei, wenn er dies durch Zeugen beweisen konnte. Im Todesfall des Täters erfolgte eine Klage gegen den toten Mann. Die Verfolger, die den Gefesselten oder Getöteten vor Gericht brachten nannte man Schreimann.
Anmerkung:
Die Endung –io bezeichnete im Mittelhochdeutschen einen Ausruf.